Montag, 16. Februar 2015

Ein kleines Wunder oder auch ein Bündel voller Glück und Hoffnung





Am 28. Januar 2015 um 9:43 Uhr kam es zu uns: Unser kleines Wunder namens   Pheline.

Nach Monaten des Wartens, der Angst, der Trauer, der Freude und der Hoffnung ist sie endlich da, meine Tochter.

Sie ist der Grund, warum ich hier so lange inaktiv war. Ich habe Samuel im Kopf behalten und im Herzen, aber alles was mit ihm direkt zu tun hatte habe ich in dieser Zeit öfter mal ausgeblendet, einfach als Selbstschutz.

Ich hatte zuviel Angst, dass das selbe noch mal passieren würde, dass auch Pheline von uns gehen würde ohne diese Welt einmal gesehen zu haben.

Besonders die letzten Wochen waren sehr schwer. Die Anmeldung zur Geburt im gleichen Krankenhaus, das Einrichten des Kinderzimmers, das Vorbereiten darauf, dass wieder ein Baby in diesem Haus sein wird, in diesem Zimmer, dass eigentlich einem anderen Kind gehört. 

Es war ein stetiges Hin und Her zwischen Angst und Freude. Jeder Besuch beim Arzt wurde zur Tortur. Vor dem ersten CTG war ich so ängstlich und nervös, dass ich mich übergeben habe als wäre ich krank. 

Beim letzten CTG vor dem geplanten Entbindungstermin kam es, das Schockerlebnis: Es konnten erst keine Herztöne gefunden werden. Große Panik stieg auf, ich dachte Nein, nein, nein. Nicht auch noch meine Tochter! Bevor ich komplett panisch wurde, kam er, der Tritt in meine Rippen. Ich habe mich nie so sehr gefreut von meinem Kind getreten zu werden. Ich wusste in dem Moment, dass alles gut gehen wird, es gut gehen muss! Das CTG war natürlich top. Und ich total durch.

Der Weg zum Krankenhaus am Morgen des 28. Januar war schwer. Mein Mann und ich waren beide - verständlicherweise - sehr angespannt.

Als wir im Krankenhaus ankamen hatte genau die Schwester Dienst, die mich damals bei Samuel betreut hat und mir bei der ersten Trauerbewältigung geholfen hat. Zufall? Wenn ja, ein sehr glücklicher.

Der Kreißsaal war der Gleiche wie bei Leonard. Das stimmte uns irgendwie ruhig und halbwegs gelassen (soweit es möglich war) und so warteten wir auf die Ärzte und darauf, dass der OP fertig gemacht wurde. 

Im OP, als alles vorbereitet wurde kam sie dann doch wieder, die Angst. Aber auch hier war das gesamte Team vorbereitet. Es wurden Scherze gemacht um mich abzulenken, ein Arzt flüsterte mir sogar ins Ohr, dass er wüsste was das letzte mal passiert sei und dass es diesmal nicht so sein wird. Dafür würden alle sorgen. Beruhigende Worte, die ich wirklich brauchte in diesem Moment.

Um 9:43 Uhr kam er dann, der erlösende Schrei. All die Anspannung, die Angst, die Sorge, alles fiel ab. Die Tränen liefen und ich war plötzlich entspannt. Und müde. Ich wollte nur noch schlafen, so müde war ich.

Ich konnte es die ersten Stunden gar nicht glauben, dass es mein Kind ist, das da in meinen Armen liegt. Mein Baby, das atmet und sich bewegt. Es kam mir vor wie in einem Traum.

Abends betreute mich eine andere Schwester, aber auch diese kannte ich noch von Samuel. Sie hatte damals die Fotos von ihm gemacht und auch sie konnte sich sofort an mich erinnern. Wieder ein Zufall? Wenn ja, auch diesmal wieder ein sehr glücklicher.

Während den folgenden Tagen im Krankenhaus hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Erinnerung an Leonard's Geburt kamen hoch und auch die traurige und schmerzhafte Zeit nach Samuel's Geburt kam immer wieder hoch. 
Nun lag ich dort, wieder in diesen Räumlichkeiten mit einem Baby. Mit all den Dingen, die ich mir im Juli 2012 so sehr gewünscht habe und so bitter darauf verzichten musste. In diesen Räumlichkeiten, wo nun zwei Kinder lebendig geboren wurden und eines tot zur Welt kam. Merkwürdig, dieses Schicksal, dieses Leben. Glück und Leid wieder so nah beieinander.


Während den ersten Tagen zu Hause konnte ich teilweise nur weinen ohne aufzuhören. Wegen den Hormonen, wegen des Glücks, wegen der Trauer.

Leonard kümmert sich so rührend und stolz um seine Schwester. Hätte Samuel das genauso gemacht? Bestimmt.

Jetzt sind wir endlich zu viert mit einem Schutzengel. Er fehlt uns trotz allem so sehr. Es wird immer eine große Lücke sein zwischen Leonard und Pheline. Ein Platz wird immer leer bleiben, ein Gesicht mit einem Lächeln auf Bildern fehlen.
Die Fragen wie er wohl aussehen würde und wie ähnlich ihm seine Geschwister sind bleiben. Sie werden wohl nie aufhören.

Die Schwangerschaft mit Pheline war (wie von vielen vorhergesagt) eine Art Therapie. Sie hat mir geholfen vieles noch mal zu durchleben und ein Teil dieser Unvollständigkeit abzuschließen. Es ist als ob ich einmal zurückreisen durfte, die Schwangerschaften von Leonard und Samuel sich vermischt haben, ich vieles anders machen konnte und es hat alles ein ganz anderes Ende genommen.

Am 28. Januar 2015 kam mein kleines Wunder, an das wir nicht mehr geglaubt hatten, in der 38. SSW per Kaiserschnitt auf diese Welt und hat alle meine Prioritäten wieder neu geordnet. Mein Leben hat einen neuen Sinn und ist nicht mehr so dunkel an einigen Tagen. 
Ich bin seitdem nicht mehr so verbittert und neidisch auf andere, die zwei Kinder haben, bin ausgeglichener und wieder offener geworden. Ja, ich erfreue mich des Lebens, so wie es ein mal war, vor langer Zeit. 

Wenn meine Pheline meinen Finger hält und im Schlaf lächelt dann ist meine Welt in Ordnung. Sie ist gut so wie sie ist, auch wenn Samuel fehlt. Sie ist wieder voller Hoffnung und Zukunftsplänen.

Ohne Samuel gäbe es keine Pheline. Ein Gedanke, der erst schmerzt, mich aber dann doch glücklich stimmt.

Ich weiß, dass er irgendwo in unserer Nähe ist und genauso stolz ist auf seine kleine Schwester wie sein großer Bruder und genauso auf sie aufpassen wird wie auf Leonard.



Montag, 1. September 2014

Zwischen Hoffnung, Glück und großer Angst

Einige wissen es schon, viele vermuten etwas. Ich brauchte eine gewissen Zeit um das alles zu verarbeiten bevor ich es "offiziell" mache und bin immer noch nicht ganz sicher, ob es der richtige Weg ist. Da es aber vielen Mut machen und Hoffnung geben wird, denke ich, ist es die richtige Entscheidung es hier bekannt zu geben:

Wir haben das große Glück Anfang nächsten Jahres wieder ein Baby in der Familie zu haben! Ja, es stimmt, wir werden noch mal Eltern und Leonard ein großer Bruder!

Es liegen schwere, turbulente und emotionale Wochen hinter uns und die schlimmste Zeit liegt noch vor uns. 

Es ist ein Auf und Ab der Gefühle zwischen Hoffnung, Glück und Angst. 

An manchen Tagen ist alles gut, ich fühle mich gut, bin glücklich und strahle, geniesse das erneute Glück ein Kind zu bekommen und an anderen Tagen packt mich die pure Angst, die Panik, dass sich alles wiederholen könnte. Die Termine beim Arzt sind dementsprechend doch mit einigem Stress verbunden. Vor jedem Ultraschall schiesst er mir panisch durch den Kopf, dieser eine Gedanke "Lebe! Schlag, du kleines Herz, schlag!" und die Erleichterung fällt förmlich wie ein Stein von meinem Herzen, dass alles gut ist.

Ich habe nach langer Zeit des Wartens gelernt, dass eine Schwangerschaft nicht selbstverständlich ist, dass schwanger werden nicht selbstverständlich ist und hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Diese zwei Striche auf diesem Test zu sehen war eine Welle der Emotionen, der Angst, der Ungläubigkeit. Der erste Termin beim Arzt war Horror, Unsicherheit und ganz tief in mir versteckt pures Glück.

Dann kam das Schwanken zwischen laut in die Welt hinausrufen oder für uns behalten. Wir haben uns dann darauf geeinigt es erst mal den wichtigsten Personen zu sagen bis wir es nicht mehr verheimlichen können. Das hat auch so weit funktioniert, bis Leonard etwas mitbekommen hat. Da mussten wir ihm alles erklären und da wir wussten, dass er es eh jedem erzählen würde, haben wir auch nichts mehr verschwiegen. 

Es ist nicht leicht mit einem Babybauch durch die Welt zu laufen, wenn alle Samuels Geschichte kennen. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Manch einer fiel uns in die Arme mit Tränen in den Augen, zeigte mehr Glück als wir und andere ignorieren die Tatsache an sich, dass ich erneut schwanger bin, einfach komplett. Leider ist letzteres eher häufiger anzutreffen, was es an manchen Tagen nicht einfach für mich macht.

Trotz allem sind wir sehr sehr glücklich, dass wir noch eine Chance bekommen, dass wir Hoffnung haben und es mir soweit gut geht. 

Es ist in der Tat ein kleines Wunder alles noch mal erleben zu dürfen, auch wenn es schwer ist. 

Dieses Mal wissen wir alles besser zu schätzen, zu geniessen und sind sorgfältiger. Vielleicht sollte es so sein?

Wir werden Samuel nie vergessen. Er wird immer bei uns sein und dieses Kind wird ihn auch niemals ersetzen! 

Dieses Mal wird alles gut gehen, muss alles gut gehen! Wir versuchen positiv in die Zukunft zu schauen....

Montag, 6. Januar 2014

Das Ende einer merkwürdigen Reise

Wenn ich zurückblicke und mir alles noch mal durchlese und die Erinnerungen durchsehe, dann habe ich eine lange merkwürdige Reise hinter mir. Ich wurde aus einem Leben gerissen, das für mich selbstverständlich war. Mit Dingen und Menschen, die für mich selbstverständlich waren. Ich habe mein Kind verloren und mich selbst, musste von jetzt auf gleich ohne es zu wissen auch um mein Leben kämpfen. Habe mich oft gefragt, ob ich lieber hätte gehen und Samuel hier lassen sollen...


Man sagt der Mensch trauert ein Jahr. Bei mir waren es jetzt exakt 1 Jahr, 5 Monate, 10 Tage, 15 Stunden und 35 Minuten. Das macht 75 Wochen und 528 Tage. Ich trauere immer noch, keine Frage, das wird auch nie aufhören. Jedoch ist es wesentlich besser als noch einem Jahr. 


Ich habe dieses Jahr Weihnachten "geniessen" können, ich habe nicht geweint. Ich habe Silvester richtig feiern können, ich habe nicht geweint. Ich schaue positiv in das neue Jahr. Ich habe neue Ziele, neue Hoffnung. Allerdings keine Pläne, denn die mache ich nicht mehr. 


Ich vermisse Samuel. Jeden einzelnen Tag, jede Nacht. Es wird auch immer Tage und Momente geben an denen es mich einholt und wahnsinnig weh tun wird. Ich habe allerdings akzeptiert, dass er nicht bei uns sein kann/darf/soll, wie auch immer. Ich habe ihn losgelassen, wie man so schön sagt. In seine Welt, in die ich, wir alle, nicht gehören. Natürlich tut es weh, das zu sagen und es macht mich traurig. Trotzdem ist es so.


Und damit bin ich am Ende dieses Tagebuches hier. Vorerst. Ich lasse es online, weil es so viele gibt, die Mut fassen durch meine Worte, die sich verstanden fühlen, denen es hilft das zu lesen, was sie denken. Das ist immer das, was ich damit erreichen wollte und das habe ich geschafft. Das macht mich glücklich. Zu sehen, dass es anderen dadurch ein Stück besser geht, sie den gleichen Weg gehen müssen, jedoch etwas vorbereiteter sind, manches vielleicht anders angehen können.


Wie viele gemerkt haben bin ich immer irgendwie zu erreichen. Ich antworte nicht sofort auf jede Email, ich bemühe mich aber es zu tun, auch wenn es manchmal länger dauert. Ich bin über Facebook sehr gut zu erreichen, dort haben sich viele von Euch bei mir gemeldet und ich habe wieder einmal gesehen, wie viele es von uns gibt und wie viele "Neue" dazukommen.
Wer weiß, vielleicht geht es hier eines Tages weiter mit einer erneuten Schwangerschaft? Ich weiß es nicht. 


Bleibt stark, seid mutig, geht Euren Weg. Es ist schwer und oft steht man ganz nah am Abgrund, aber es geht weiter. Es gibt immer eine kleine Brücke, auch wenn sie manchmal einbricht und repariert werden muss. Es gibt auch immer ein paar Menschen, die einem die Hand reichen oder einen Stück des Weges tragen. Ihr müsst sie nur lassen. Ihr seid nicht allein. Keiner von uns ist allein.


Ihr müsst Euer Leben neu ordnen, neu aufbauen und noch ein paar mal umstrukturieren, aber dann seid ihr ein neuer Mensch mit alten Zügen und ihr werdet sehen, das Leben lohnt sich wieder und hat einen Sinn. 


Ihr müsst Euch selbst gegenüber nur ehrlich sein und reden. Fresst nichts in Euch hinein, schluckt nicht alles runter. Öffnet Euch denen, die wirklich helfen wollen. Macht Euch niemals was vor und überspielt nicht alles. Wer weiß besser als ich, dass das verdammt schwer ist? Ich habe es geschafft, ihr schafft es auch.


Alles Gute, ganz viel Kraft und noch mehr Liebe.

Montag, 30. September 2013

Taufe mit Tränen.

Am 15. September wurde mein großer Sohn getauft. Er hat es sich so gewünscht und war so stolz, dass er endlich getauft wurde.


Er hat sehr fasziniert den Gottesdienst verfolgt, der nur für unsere Familie und ihn war. Er war die Hauptperson und war mehr als glücklich.


Wir haben uns nach Samuels Tod dafür entschieden Leonard doch noch taufen zu lassen, wenn er es möchte. Und mit 3 Jahren kann man das schon entscheiden. Er weiß genau was das bedeutet und war ganz klar stark dafür. Ich hatte während der ganzen Planung nur Leonard und die Familie im Kopf. Mir war nicht bewusst, was konkret auf MICH zukommt. Ich konnte nicht ahnen welche emotionalen Kämpfe ich ausfechten musste während dieses Gottesdienstes und ich weiß nicht, ob es irgendjemand überhaupt mitbekommen hat, weil ich glaube, ich habe mich ganz gut gehalten. 


Es ging - ganz klar - an diesem Tag nur um Leonard. Und doch saß ich auf dieser Kirchenbank und mir schossen Gedanken in den Kopf. Wie würde Samuel jetzt aussehen? Würde er schon laufen können? Würden wir ihn auch schon taufen lassen? Wie hätte er das Ganze mitgemacht? Wäre er auch so stolz und still und andachtsvoll?


Mir fehlte plötzlich diese kleine Hand, die da sein sollte. Hier in meiner. Diese großen Augen, die mich anschauen sollten, fragend, was da los ist. Diese Fragen und Gedanken, gemischt mit Schmerz, Trauer und dem Orgelspiel war dann doch zwischenzeitlich etwas zu viel.


Die Tränen liefen und es war ein innerer Kampf sie zu stoppen. Ich wollte nicht vor Leonard weinen. Ich wollte nicht, dass er sieht wie ich leide. Also hab ich die Tränen weggewischt und tapfer gelächelt.


Das Ganze habe ich ein paar Tage aufrecht erhalten können. Doch dann war ich alleine. Mein Mann auf Geschäftsreise, Leonard im Kindergarten, meine Mama wieder zu Hause. Ich war nicht in der Lage aufzustehen. Ich habe vor mich hin gelungert, wusste nichts mit mir anzufangen. Wollte eigentlich keinen sehen und hören. Habe mich wieder jeden Tag nur aufgerappelt um ihn vom Kindergarten abzuholen und so zu tun als wäre nichts. Jetzt, langsam, ganz langsam, geht es wieder. Es ist schwer durch dieses Herbstwetter, aber es geht. Ich raffe mich wieder auf und werde "normal". 


Auch nach einem Jahr, und ich glaube egal wie lange es her ist, gibt es Situationen, wo alles, aber wirklich alles wieder hochkommt und einen runterzieht. Es gibt gute Tage, schlechte Tage, gute Wochen und schwere Wochen. Ich kann nie sagen wie es mir geht und was passiert. Manchmal kann sich meine Stimmung innerhalb von Sekunden ändern. Das Wichtigste jedoch ist: Ich gehe weiter. Wenn auch manchmal etwas stockend. 

Donnerstag, 8. August 2013

Ein Jahr später

Es ging schnell um und es war grauenvoll: Ein Jahr ohne das sehnsüchtig erwartete Kind. 


Dass es wirklich schon ein Jahr ist, kann ich noch nicht so recht glauben. Manchmal rannte die Zeit und manchmal war es als bliebe sie stehen.


Samuels Geburtstag war eine kleine Achterbahnfahrt. Die Nacht davor war wesentlich schlimmer als der Tag. Plötzlich ist alles wieder da als wäre es gestern erst passiert, nur dass man sich selber zuschaut wie es passiert. Wie in einem ganz schlechten Film. Man möchte schnell umschalten, aber es geht nicht. Wegschauen geht auch nicht.


Und dann kam sie, die große Welle des Schmerzes, die einen stumm schreien lässt und die Luft zu atmen nimmt, die Frage nach dem Warum, die Wut, die Enttäuschung, die Trauer, der Schmerz. All das war plötzlich wie aus dem Nichts auf einmal da.
Als die letzte Träne floss und die Luft zum atmen wieder kam, war alles wieder gut. Wie lange das Ganze gedauert hat, weiß ich nicht mehr. Stunden, Minuten, all das ist relativ in diesen Momenten und zählt einfach nicht.


Morgens haben wir sein Grab neu gestaltet. Das ist alles was bleibt. Eigentlich hätten wir Geschenke auspacken sollen. Stattdessen haben wir Blumen gepflanzt mit den Worten "Das ist alles nicht richtig! So sollte es nicht sein!" im Kopf. Auf dem Rückweg vom Friedhof schlug die Welle noch mal zu und zum ersten Mal seit einem Jahr haben Freunde um mich herum diese Welle gesehen. Ich habe mich immer bemüht sie halbwegs zu verstecken. Weil ich nie wollte, dass andere diese Hilflosigkeit spüren. Doch dies mal lies es sich nicht vermeiden. Es war irgendwie absurd, auch wenn es angenehm war das andere Gesicht zu zeigen. 


Als auch diese Welle erneut verschwand brauchte ich erstmal einen Schnaps. Dass es erst vormittags war hat mich herzlich wenig gestört. Besondere Tage erfordern besondere Maßnahmen. Danach sind wir mit Sack und Pack in ein Einkaufszentrum gefahren und haben geshoppt wie die Irren. Das haben wir auch letztes Jahr gemacht nach der Beerdigung. Mag für manche makaber sein oder überhaupt nicht denkbar an solchen Tagen, aber wir haben das zur Tradition gemacht.


Was nützt es mir, wenn ich der Welle die Oberhand lasse und in der Ecke sitze? Bringt es mir mein Kind wieder? Nein. Würde er das wollen? Nein. Nein, ich denke nicht. Nur weil ich nicht mehr weine, heißt es nicht, dass ich nicht mehr an ihn denke. Meine Gedanken sind immer bei ihm. Er ist fest in meinem Herzen und daran wird sich nie etwas ändern. 


Was ich in diesem einen Jahr gelernt habe ist, dass sich ganz plötzlich alles ändert und man deswegen alles mehr geniessen sollte. Ich achte mehr auf die Menschen mit denen ich mich umgebe, wer es gut meint und wer nicht. Ich bin offener geworden, gehe mehr auf Menschen, die mir wichtig sind zu und spreche Dinge an, die mich stören, da ich sie nicht verlieren möchte. Bei den anderen ist es mir egal geworden. Sie sollen denken was sie wollen über mich. Sie kennen mich nicht und werden mich auch nie richtig kennen, weil sie das gar nicht möchten. Ich setze andere Prioritäten als damals, denn ich weiß, dass das Leben kurz ist. Ich schmeisse manche Regeln einfach über Bord, weil ich sie für unnötig erachte. 


Ich habe gelernt, dass sich Menschen auf einen stürzen, weil man ein schweres Schicksal erlitten hat und alle genau wissen wollen was da los war. Ist allerdings etwas Zeit vergangen, wird man uninteressant und soll aufhören zu trauern.


Es gibt viele, die Samuels Geburtstag vergessen haben. Oder die einfach so nichts gesagt haben, weil sie nicht konnten, wollten, wie auch immer. Wenn ein Kind stirbt erleben die Eltern eine Art "Hype". Man bekommt Karten, nette Worte, Aufmerksamkeit. Ob nun positiv oder negativ. Am ersten Geburtstag ohne Kind passiert nichts. Von 10 Leuten melden sich 3 oder 4. Der Rest schweigt. Wir erwarten nicht viel als Eltern. Wir wissen selber nicht wie wir den Tag verbringen, aber ein einziges " Wir denken auch Euch" zeigt uns, dass unser Sohn nicht vergessen ist und dass alle wissen, dass er da war. Keine einziges Wort versetzt uns einen ganz bösen Stich. 


Ich weiß, dass es ganz schwer ist mit uns umzugehen. Wir möchten nicht mehr als einen schmalen Grad zwischen nicht-in-Watte-gepackt-werden und offen sein. Wir sagen Euch, wenn es nicht geht oder wir einen schlechten Tag haben, genau so wir ihr uns das auch sagen dürft. Wir sind immer noch die gleichen Menschen, nur ein kleines bisschen anders. 


An dieser Stelle danke ich allen, die an Samuels Geburtstag bei uns waren und wenn es nur in Gedanken war und die den Mut hatten, diese Gedanken auszusprechen.


Ich danke für die kleinen Aufmerksamkeiten für sein Grab, es bedeutet uns so viel, dass wir sie dort stehen haben. 


Ich danke allen, die ein Jahr an unserer Seite waren und es immer noch sind.


Und ich danke auch allen, die mir das Jahr zu Hölle gemacht haben mit unbedachten Sprüchen oder Ignoranz und dies immer noch tun. Durch Euch weiß ich mit wem ich meine kostbare Zeit nicht verbringen werde.


Ein ganz großes Danke geht an die Macher der neuen Kerze. Sie hat einen Ehrenplatz und wird erstmal nicht angemacht, weil sie was ganz besonderes ist. Es steckt so viel Herz und Liebe darin, dass jeder das erstmal sehen soll. 


Und natürlich: Danke an alle Leser dieses Blogs, die den Mut haben mir zu folgen, die ein Jahr lang mitgelesen haben. Wie es weiter geht weiß ich noch nicht genau, aber still wird es um mich nicht, so viel steht fest. So lange es Menschen gibt, die Trost brauchen und Mut werde versuchen ihnen beides zu geben.

Donnerstag, 18. Juli 2013

Zeitreise

Das sind wir zwei vor ca. einem Jahr. Da ging es uns gut. Wir waren glücklich. Ich habe Dich gespürt, Du hast mich getreten wie wild. Es war großartig. Jede einzelne Bewegung war großartig. Ich war voller Glück und Vorfreude auf das, was kommen sollte. Ich wusste nicht und konnte es nicht ahnen, dass Dein kleines Herz nur ein paar Tage später einfach so aufhört zu schlagen. Einfach so. Ich habe geplant. Die Zeit mit Dir geplant. Mir ausgemalt wie schön es wird. Zu viert. Dein Bruder war auch schon ganz neugierig. Er wollte unbedingt mit Dir spielen und wissen, wann Du endlich zu uns kommst.



Wir hatten alles fast fertig, haben nur gewartet. Auf diesen einen Tag. Auf diesen einen Schrei. Auf diesen einen Moment in dem Du das Licht der Welt erblickst und wir komplett sind. Nichts davon ist eingetreten. Das Licht der Welt durftest Du nicht erblicken. Du kanntest nur das Licht, dass durch meine Bauchdecke auf Dich fiel. Unsere Stimmen durftest nur dumpf wahrnehmen. Wir durften Deine gar nicht hören. 

Nun hast Du bald Deinen ersten Geburtstag. Und gleichzeitig Todestag. Ich sollte hier sitzen und Geschenke einpacken, Einladungen schreiben, Dekorationen kaufen, einen Kuchen planen. Was mache ich stattdessen? Ich weine. Frage nach dem Warum. Bastel Dir diese Kerze, damit Du zu Deinem Geburtstag eine Neue hast, weil Deine Alte mittlerweile niedergebrannt ist. 


Mache Dein Grab hübsch als Geschenk. Weil ich nichts anderes habe. Kerzen, Grab, Fotos, Erinnerungen. 

Ich habe heute vor einem Jahr davon geträumt wie es wird, Dich ins Bett zu bringen. Ich wusste nicht, dass ich einen Sarg aussuchen muss und Dich zur ewigen Ruhe begleiten soll. Mein Traum wurde ein Albtraum....


Freitag, 21. Juni 2013

11 Monate

Nächste Woche sind es 11 Monate.


Wenn ich zurückblicke, weiss ich nicht wie ich das alles geschafft habe. Mir kommt es immer noch so vor als wäre es ein paar Wochen her.
Nun steht er bald an, der "große" 1. Geburtstag. Ich merke selber wie nervös mich das macht. ich bin sehr angespannt, empfindlich, vieles kommt wieder hoch... Ich habe immer noch keine Ahnung wie ich diesen Tag verbringe, ich weiß nicht was passiert. Ich will es auch nicht wissen. Irgendwie möchte man diesen Tag aus dem Kalender streichen, aber wäre das fair? Hat Samuel nicht trotzdem das Recht auf einen schönen Tag? Auch wenn er nicht bei uns ist? Habe ich nicht auch das Recht seinen Geburtstag zu feiern? Ich schwanke. Ich will und irgendwie will ich auch nicht. 


Momentan ist sowieso alles sehr schwer.... Die Beerdigung meiner Oma, wo alles hoch kam, Freunde um mich herum die ein Kind bekommen oder gerade eins auf die Welt gebracht haben. Die Absatzerscheinungen der Antidepressiva, die heftiger sind als alle Nebenwirkungen... Der Wunsch nach einem dritten Kind, aber die verdammte Angst dahinter!!! 


Heute kam sie mal wieder, die Fragen aller Fragen: Wollt ihr noch ein 2. Kind?
Kurze Überlegung: Sagen oder nicht sagen, dass bereits ein 2. Kind vorhanden ist, aber nicht hier. Ich habe mich für letzteres entschieden. Ganz bewusst. Weil ich weiß, wenn ich nichts sage geht es mir noch schlechter.


Ich spreche das alles offen aus, rede darüber, weil es so ist wie es ist. Ich vertrete immer noch die Meinung, dass dieses Kind da ist, wenn auch nicht hier. Es gibt dieses Kind. Es wurde geboren. Ich habe Samuel gesehen und ich habe ihn gestreichelt und geküsst. Warum soll ich das nicht sagen?


Und was kam als Antwort: Ach, Du auch? Wir haben so einen Fall auch in unserer Familie. Wer nicht?! frage ich mich langsam. Und warum, verdammt noch mal, macht keiner den Mund auf? Warum ist das so ein geheimer Club? Warum müssen Menschen darunter leiden und trauen sich nichts zu sagen, nur weil es ein Tabu ist?! Diese Frage beschäftigt mich seit einem Jahr und wird mich mein Leben lang beschäftigen. Ich werde so lange meine Geschichte erzählen und so lange kämpfen bis es kein Tabu mehr ist.


Mein Kind hat gelebt. Es gibt ihn. Und ich will das auch sagen. Ich kann keine Bilder zeigen, oder Details erzählen, aber ich kann sagen: Ich habe zwei Kinder! Ich bin zweifache Mutter. Hört mir zu und lernt wie kurz das Leben ist. Geniesst das was ihr habt. Und seit ab und an etwas vorsichtiger.


Wie gesagt, ich sehe die Dinge anders. Vielleicht auch manchmal zu krass, aber das steckt jetzt nun mal drin und das kann ich nicht ändern. Ich rede mir immer noch ein ich hätte vieles anders machen können, vielleicht würde mein Kind dann noch leben. Ich weiß selber, dass das Quatsch ist, aber der Gedanke ist da. Und er quält mich täglich. Ob das je aufhören wird?


Manchmal denke ich, dass ich ganz schön tapfer und mutig bin. Und manchmal frage ich mich, ob das alles Sinn macht? Mache ich das alles richtig? Ist es richtig, das alles so öffentlich zu machen? Helfe ich anderen wirklich damit? 
Oder mache ich mir selber was vor? 


Mein Leben ist weiterhin eine Achterbahn: Hoch und runter mit einer rasenden Geschwindigkeit. Und ich stehe daneben und schaue zu....